LWL-Gerontopsychiatrie Dortmund – lieber ohne Besucher?

Seit September 2023 lebt meine Mutter nun in der Gerontopsychiatrie in Dortmund, eine Abteilung des LWL-Klinikums, die sich um psychisch kranke Menschen im Alter kümmert. Meine Mutter ist vor knapp vier Jahren an vaskulärer Demenz (SAE) erkrankt, vermutlich als Folge einer Gesichtsrose verursacht durch das Herpes Zoster-Virus, die ihr vom Auge auf das Gehirn geschlagen ist. Aufgrund von Selbst- und Fremdgefährdung und einer Hinlauftendenz wurde sie am 1. Mai 2023 von der Polizei zunächst in die Psychiatrie in Lüdgendortmund zwangseingewiesen. Demenz bei sehr mobilen Erkrankten ist dann äußerst problematisch, wenn der Standstreifen einer Schnellstraße als breiter Radweg verkannt wird, ein Demenzkranker den Weg nach Hause nicht mehr findet und dann auch noch die Einsichtsfähigkeit fehlt, um derartige Unternehmungen zukünftig einzustellen. Um eine psychische Erkrankung handelt es sich dabei aber nicht. Der Wechsel meiner Mutter nach Dortmund-Aplerbeck wurde mir gegenüber ausschließlich mündlich von einem Arzt aus Lüdgendortmund mit der Tatsache begründet, dass ich im Juni 2023 Anzeige gegen die behandelnden Ärzte erstattet hatte wegen der Verabreichung des nebenwirkungsreichen Neuroleptikums Haldol ohne Absprache und gegen meinen Willen. Das Medikament zur chemischen Fixierung wurde dann zwar abgesetzt und es ging meiner Mutter bald gesundheitlich deutlich besser, doch hatte  ich den Eindruck, dass die wochenlange Verabreichung die Demenzerkrankung meiner Mutter durch mehrere kurz aufeinanderfolgende Schübe sehr stark beschleunigt hat. Im Juli war es dann soweit, dass sie bis auf mich alle anderen Verwandten bei den Besuchen nicht mehr erkannt hat. Ihr Lang- und ihr Kurzzeitgedächtnis ließen rapide nach. Eine Richterin des Betreuungsgerichts stellte ihr eine Betreuerin zur Seite, da ich aus verschiedenen Gründen leider nicht dazu in der Lage war, die Betreuung meiner Mutter dauerhaft zu übernehmen. Von der Anzeige habe ich von offizieller Seite nie wieder etwas gehört. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die Mühlen der Justiz mahlen beim Dortmunder Betreuungsgericht ganz besonders langsam – sodass bis heute keine Entscheidung über die Unterbringung meiner Mutter in einem Altenheim mit geschlossener Demenzabteilung vorzuliegen scheint. Oder aber die für die Betreuung zuständige Rechtsanwältin benachrichtigt mich nicht über eine mit ihr in Absprache mit dem Gericht getroffene Entscheidung, meine Mutter bis zu ihrem Lebensende in Aplerbeck eingesperrt zu lassen. Das sollte schließlich auch nach Ansicht der  zuständigen Oberärztin aus dem Klinikum in Lüdgendortmund ohnehin der richtige Unterbringungsort für meine Mutter sein. Die geschlossene Einrichtung liegt am anderen Ende von Dortmund und ist über die Autobahn A40 und die B1 äußerst schlecht von Bochum aus zu erreichen, zumal die Besuche auf eine halbe Stunde begrenzt nur nach vorheriger Terminabsprache mit der Station  möglich sind, und das auch nur zwischen 15 und 18 Uhr. Bis vor wenigen Wochen dürfte ich mit meiner Mutter noch im Park des LWL-Klinikums spazieren gehen. Das ist bei dem nassen und kalten Wetter nicht möglich, aber das Auf- und Abgehen im Gebäude ist immer noch besser als der zeitlich begrenzte Aufenthalt in den Besucherräumen, wobei der schlechtere der beiden Räume das Flair einer Gefängniszelle inne hat.

Besucherraum Nummer zwei auf circa 6 Quadratmetern am 23.09. 2023  

Spaziergang im Park des LWL-Klinikums am 23.09. 2023  

Als ich am 9. Dezember 2023 meine Mutter direkt nach einem Krankenhausaufenthalt wieder besuchen konnte, überraschte man mich mit der Aussage, dass nach der „Neueinweisung“ der ärztliche Beschluss zur Erlaubnis des Ausgangs erloschen sei. Ein Arzt sei zwecks Neuausstellung am Samstagnachmittag nicht greifbar und so dürfe ich die Station mit ihr nicht verlassen. Man hatte mich über die Erkrankung meiner Mutter weder seitens der Psychiatrie noch seitens der Betreuerin informiert, wobei letztere nach Aussage der Stationsmitarbeiterin angeblich dafür zuständig sei. Meine Mutter sah äußerst ungepflegt aus, hatte überlange Haare und Fingernägel und trug keine Socken, da die Füße blutunterlaufen und geschwollen waren. Die genaue Ursache für die Verlegung in das offensichtlich pflegerisch unterbesetzte Krankenhaus wollte man mir nicht mitteilen. Die Krankenschwester sprach lediglich von irgendeiner Entzündung. Ich bat darum, die Ausgangserlaubnis wieder eintragen zu lassen.  

Meine Mutter am 9. Dezember 2023, nun statt in dem Einbett- auf einem Zweibettzimmer

Meine Mutter freute sich sehr über meine Anwesenheit und wollte mich nach knapp zwei Stunden gar nicht mehr gehen lassen. Wir hatten erst in dem Gemeinschaftsbereich gesessen und waren dann auf ihr Zimmer gegangen, weil sie sich hinlegen musste. Je nach Charakter des diensthabenden Pflegepersonals ist das an manchen Besuchstagen möglich, besonders wenn die Patienten gerade gesundheitlich stärker angeschlagen sind. Meine Mutter erinnerte sich daran, dass sie bei mir Sonntagsmorgens Brötchen mit Butter gefrühstückt hatte und dass das so lecker war, auch wenn sie die Radtour zu mir nicht mehr erwähnt hatte und die Worte Brötchen und Butter umschrieben werden mussten. Meinen Namen hat sie seit ein paar Monaten vergessen.

Als ich am ersten Weihnachtstag gemeinsam mit der Familie meines jüngeren Bruders zu Besuch kam, ging ich davon aus, die geschlossene Abteilung nun wieder mit meiner Mutter verlassen zu dürfen, aber dem war nicht so. Wir dürften nur in den größeren und freundlicheren Mehrzweck-Besucherraum mit ihr – die erst zweijährige jüngste Enkelin musste mit ihrer Mutter im Treppenhaus des Phönix-Gebäudes warten. Mein Bruder wohnt im Süden Deutschlands und kann daher nur selten zu Besuch kommen. Ich denke nicht, dass meine Mutter ihr jüngstes Enkelkind noch wiedererkannt hätte, zumal sie meinen Bruder und seinen älteren Sohn schon nicht mehr als bekannt einzuordnen schien. Trotzdem macht es mich endlos traurig und wütend, dass ihr diese wohl letzte Möglichkeit nun so hartherzig und unmenschlich genommen wurde. Selbst im Strafvollzug gibt es das Recht, seine Enkel zu sehen. Wir konnten nur eine halbe Stunde mit meiner Mutter zusammen sitzen. Das meiste, was sie sagte, war „ach ja“ und einmal meinte sie, sie würde meine Frage jetzt nicht verstehen. Sie hat keine meiner Fragen mehr beantworten können, aber sie hat zwei der Bananen gegessen, die mein Bruder ihr mitgebracht hat. Den Rest der Geschenke sollten wir wieder mitnehmen – man habe doch alles auf der Station.

Beim Verlassen stand im Eingangsbereich gut sichtbar die stabile Rewe-Tüte mit der schmutzigen Wäsche, die ich noch immer für meine Mutter waschen soll – das ist ja schließlich nicht die Aufgabe einer staatlich bestellten Betreuerin. Seit wann kümmern sich Anwälte um schmutzige Wäsche?! Man sei schließlich ein Krankenhaus, da könne man private Kleidung nicht auch noch waschen. Besuche und Ausgänge sind offensichtlich unerwünscht – doch der Waschservice durch die Verwandten sollte stimmen. Ich wunderte mich darüber, dass die Tasche relativ schwer war. Wieder zu Hause stellte ich dann beim Auspacken erstaunt fest, dass sich unter der schmutzigen Wäsche verpackt in eine Extra-Tüte die Schuhe befanden, die ich meiner Mutter bei einem vorausgegangenen Besuch mitgebracht hatte, da ihre Schuhe bei der Verlegung aus Lüdgendortmund abhanden gekommen waren. Nur auf Stopper-Socken ist ein Verlassen der Station definitiv nicht möglich – der Anblick der Schuhe sprach eine eindeutige Sprache. Und es wird auch die letzte Wäsche gewesen sein, die ich für diese Einrichtung gewaschen habe. Meiner Mutter ist es mittlerweile ohnehin egal, was sie trägt und ob es sich um Krankenhaus-Kleidung handelt oder um Hosen von sich und anderen. Nach Aussage einer Krankenschwester soll es meine Mutter auch nicht mehr interessieren, in welchem Bett sie liegt. Sie wechselt da ein bisschen hin und her, hat ja auch keine Bedeutung, wenn man nicht einmal mehr – wie in einem Altenheim – ein eigenes Zimmer mit persönlichen Dingen bewohnen darf. Wenigstens wirkt meine Mutter mittlerweile irgendwie wieder glücklich, seit sie ihre Vergangenheit vergessen hat. Sie lächelt im Hier und Jetzt, ohne sich zu fragen, ob es ein Morgen geben wird…

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