Anis Amri und die Kollateralschäden im Krieg gegen den Terror

War der IS-Anschlag am Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 ein Kollateralschaden im Krieg gegen den Terror?

Diese Arbeitshypothese vertritt Stefan Schubert in seinem Buch „Die Destabilisierung Deutschlands“ von August 2018. Schubert geht aufgrund seiner Recherchen davon aus, dass Anis Amri im Zentrum einer CIA-Operation gestanden hat mit dem Ziel Metadaten von IS-Kontakten in Nordafrika abzuschöpfen wie Handy- und Chat-Kommunikationen. Mit Hilfe der gewonnenen Daten aus der Satellitenortung sollen nur vier Wochen nach dem Berliner Terroranschlag mehr als 80 Kämpfer des Islamischen Staates in dem Kontakt-Camp Amris in Libyen durch GPS-gesteuerte Bomben getötet worden sein. Die US-Angriffe werden von deutschem Boden aus gesteuert, das „Africa Command“ ist in Stuttgart stationiert.

Im folgenden Welt-Artikel wird der Angriff  bestätigt, eine CIA-Operation gegen Amri lässt sich anhand der Aussagen zumindest vermuten.

 

https://www.welt.de/politik/ausland/article161497112/Was-steckt-hinter-Amris-Libyen-Connection.html

Veröffentlicht am 25.01.2017 

Amerikanische Tarnkappenflugzeuge haben in Libyen ein IS-Camp bombardiert. Angeblich gab es von dort Beziehungen zum Berlin-Attentäter Anis Amri... Zwei amerikanische B-2-Tarnkappenbomber und eine MQ-9-Reaper-Drohne werfen insgesamt 100 Bomben ab, darunter 80 der 250 Kilogramm schweren GBU-38. Nach Schätzung des Pentagons sind dabei mehr als 80 Kämpfer des Islamischen Staats (IS) ums Leben gekommen…

Möglicherweise gab es dort sogar Komplizen von Anis Amri, die mit dem Fahrer des Todeslastwagens auf dem Berliner Weihnachtsmarkt direkt in Verbindung standen. Das jedenfalls berichtete der US-Nachrichtensender CNN am Dienstag und berief sich dabei auf US-Offizielle und libysche Geheimdienstkreise… Marokko hatte die deutschen Behörden zweimal über Beziehungen Amris zum IS im Irak, in Syrien und in Libyen gewarnt. Bisher ist dieser Libyen-Link aber nicht offiziell bestätigt. Laut CNN arbeitet das Pentagon jedoch an einer endgültigen Klärung, ob es tatsächlich eine Beziehung zwischen dem Terrorcamp und dem Berlin-Attentäter Amri gab. Aller Wahrscheinlichkeit nach müssen die amerikanischen Sicherheitsbehörden noch Kommunikationsdaten vollständig auswerten, die sie über Satellit abgefangen haben. Denn anders ist aus dem Gebirge mitten in der Wüste kein Kontakt mit der Außenwelt herzustellen… Der Pressesprecher des Pentagon wollte das verständlicherweise nicht bestätigen, nur so viel: Die IS-Kämpfer stehen „seit geraumer Zeit unter Beobachtung“.

 

Eine Kooperation zwischen deutschen Behörden und der CIA mit ihrem Drohnen-Programm wurde bereits 2010 bekannt, als der deutsche Staatsbürger Bünyamin Erdogan aus Wuppertal nach einer Weitergabe der Kontaktdaten durch das BKA mit einer Drohne im Nordwesten Pakistans eliminiert worden war, wie ich bereits in einem von mir im September 2015 verfassten Artikel näher erläutert habe:

 

https://sicherungsblog.wordpress.com/2015/09/17/die-rolle-des-bka-praesidenten-ziercke-bei-der-nsu-erfindung/

… Der deutsche Staatsbürger Bünyamin Erdogan aus Wuppertal und der aus Hamburg stammende Shahab Dashti wurden Dank der gezielten Informationen deutscher Sicherheitsbehörden auf die CIA-Todeslisten gesetzt und am 4.Oktober 2010 extralegal per Drohne hingerichtet.

Ein im SPIEGEL (Ausgabe 20 / 2011) abgedrucktes Bild von Dashti stammt aus einem Jihad-Werbe-Video, das am Tag der offenen Tür des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden (19. Juni 2010) vorgestellt wurde, vom BKA übertitelt mit „Vorzüge des Jihad“.

Das folgende Foto des Fernseherbildes, aufgenommen in einem Raum der Ausstellung D des BKA-Gebäudes, zeigt exakt dieselbe Video-Sequenz, aus der der rechte Bildausschnitt im SPIEGEL-Artikel stammen muss.

Die Informationsquelle des SPIEGEL war wohl das BKA. Die wussten sofort über die Identität der Toten Bescheid und haben die Presse später mit den passenden Informationen gespeist...

 

Ende Februar 2019 schaffte es der Fall Amri erneut in die Schlagzeilen, weil der Untersuchungsausschuss im Bundestag den Bekannten und letzten Kontakt Amris, Bilel Ben Ammar, vernehmen lassen möchte. Der Tunesier oder Marokkaner war bereits Anfang Februar 2017 nach Tunesien abgeschoben worden, als die Mordermittlungen gegen ihn noch nicht einmal abgeschlossen waren. Im Focus-Artikel vom 22. Februar 2019 wird behauptet, Ben Ammar sei Agent des marokkanischen Geheimdienstes gewesen und zur Verhinderung einer Strafverfolgung abgeschoben worden, wohl um diesen entscheidenden Umstand zu vertuschen.

 

https://www.focus.de/politik/deutschland/anschlag-auf-berliner-weihnachtsmarkt-regierung-schob-amri-vertrauten-ab-um-dessen-verwicklung-in-attentat-zu-vertuschen_id_10358283.html


Freitag, 22.02.2019, 18:02

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben offenbar einen engen Vertrauten des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri abschieben lassen, um dessen Verwicklung in den Anschlag mit zwölf Toten und mehr als 60 Verletzten im Dezember 2016 zu vertuschen.

Das geht aus geheimen Ermittlungsdokumenten hervor, die dem FOCUS vorliegen. Der radikale Islamist Bilel Ben Ammar sei offensichtlich ein Agent des marokkanischen Geheimdienstes, der per Abschiebung vor einer Strafverfolgung in Deutschland geschützt werden sollte. Der nordafrikanische Nachrichtendienst DGST hatte das Bundeskriminalamt und den Bundesnachrichtendienst mehrfach über die Radikalisierung von Anis Amri und dessen Anschlagsplänen gewarnt…

Der am Tag darauf verhaftete Ben Ammar wurde am 1. Februar 2017, zwei Stunden nach Mitternacht, von der Landespolizei aus seiner Zelle in der JVA Moabit geholt und über Frankfurt nach Tunesien geflogen…

 

Eine in dem Online-Artikel enthaltene Leser-Befragung lieferte prompt ein erdrückendes Ergebnis in Bezug auf das Vertrauen der Deutschen in die Politik.

 

Wie groß ist Ihr Vertrauen in die Politik in Deutschland?

3,4%  Sehr groß

19,0%  Eher groß

12,7%  Unentschieden

31,0%  Weniger groß

33,9%  Gar kein Vertrauen

Hoch  410.549  (Teilnehmer der Befragung)

 

Schon vorher war bekannt geworden, dass der marokkanische Geheimdienst vier Warnungen an die deutschen Behörden herausgegeben hatte, die unter Vorwänden als nicht relevant abgetan wurden, wie aus einem Spiegel-Artikel von Januar 2017 zu entnehmen ist.

 

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-149131058.html

21.01.2017

Die Woche, die nach all den Fragen endlich Antworten liefern sollte, begann mit einer ungewöhnlichen E-Mail. Sie erreichte die Redaktionsbüros der Republik am Montag um 14.30 Uhr, Absender waren die Bundesministerien für Inneres und Justiz. Sie hatten etwas mitzuteilen über Anis Amri, den Attentäter von Berlin…

Es ging um ein Ermittlungsverfahren mit dem Codenamen „Eisbär“, um Überwachungsaktionen der Polizei, um Geheimnisse der Geheimdienste, welche die Behörden normalerweise penibel hüten…

Für anderes, was unerklärlich wirkt, fanden die Repräsentanten von Polizei und Geheimdiensten langatmige Erklärungen. Warum etwa ordneten die Behörden im Herbst keine weitere Überwachung Amris an, obwohl der marokkanische Geheimdienst genau in dieser Zeit viermal vor dem Tunesier warnte? Er sei Anhänger der Terrormiliz „Islamischer Staat“, hieß es in den Depeschen, er führe „ein Projekt“ aus.. Substanziell Neues habe in diesen Schreiben nicht gestanden, erläuterte der Chef des Bundeskriminalamts, Holger Münch, am Mittwoch in einer Sitzung des Innenausschusses im Bundestag. Im Übrigen seien die Warnungen gar keine Warnungen, sondern „Erkenntnisanfragen“ der Marokkaner gewesen. Sie hätten also zuallererst Informationen über Amri haben und nicht liefern wollen. Man sei da eher skeptisch gewesen…

Es gibt allerdings noch einen anderen Eintrag zu Amri, der nahelegt, dass das BfV in den Wochen vor dem Anschlag hohes Interesse an dem Tunesier hatte. Er findet sich nicht in der Chronik, sondern im vertraulichen „Personagramm“, das in Nordrhein-Westfalen über den Tunesier angelegt wurde. Dort steht unter dem Feld „Maßnahmen“, die gegen Amri ergriffen wurden, unter anderem: „PB 07 / Nachrichtendienstliche Beobachtung durch BfV“. Und zwar seit dem „13.10. 2016“ – mithin drei Wochen nachdem die Berliner Polizei die Observation Amris eingestellt hatte.

Das Kürzel PB steht für polizeiliche Beobachtung, die Zahl 07 für „Terrorismus/ Exterrorismus“. Mit einem solchen Eintrag stellt die Polizei sicher, dass sie informiert wird, wenn ein Verdächtiger irgendwo aufgegriffen oder gesichtet wird. Dass der Eintrag in Amris Fall um die Formulierung „Nachrichtendienstliche Beobachtung durch BfV“ ergänzt wurde, beschreibt ein hoher Sicherheitsbeamter als „ungewöhnlich“. Eine Anfrage dazu nannte der Verfassungsschutz „nicht nachvollziehbar“. Das Datum 13. Oktober stehe „nicht in Zusammenhang mit einem Tätigwerden des BfV“…

Von Maik Baumgärtner, Martin Knobbe, Sven Röbel, Jörg Schindler und Wolf Wiedmann-Schmidt DER SPIEGEL 4/2017

 

Aufgrund eines Spiegel-Online-Artikels in diesem Zusammenhang hatte der Abgeordnete der Grünen Dr. Konstantin Lotz eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die am 9. Februar 2017 beantwortet wurde.

 

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/112/1811220.pdf

Obwohl die Abschiebung von Bilel Ben Ammar bereits 8 Tage zuvor erfolgt war, wurde  eine Auskunft über Verbindungen zwischen Amri und Ammar verweigert mit der Begründung laufender Ermittlungen gegen in Deutschland aufhältige Personen. Hier sollte ganz offensichtlich vertuscht werden, und es wird klar, warum die Abschiebung so eilte. Zu einem Ermittlungsverfahren „Eisbär“ lässt sich nicht viel finden, bis auf einen kurzen Eintrag in folgendem Dokument:

 

http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/110/1811027.pdf

 

Protokolle einer Telekommunikationsüberwachung Amris, der wohl zusammen mit weiteren IS-Anhängern Teil des Ermittlungsverfahrens „Eisbär“ gewesen ist, waren im Dezember 2015  an das Landeskriminalamt Berlin weitergegeben worden, weil sie in dem dort gegen Ben Ammar geführten Ermittlungsverfahren wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat benötigt wurden.  Dieses Verfahren wurde im Juni 2016 eingestellt.  Wusste man etwa zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin, dass Ben Ammar für den marokkanischen Nachrichtendienst unterwegs war?

Das LKA Berlin wies am 14. November 2016 die Bundespolizei an, die Grenzfahndung nach Ben Ammar zum 26. November einzustellen. Am 8. November war der salafistische Prediger Abu Walaa mit vier mutmaßlichen Komplizen verhaftet worden, zu denen auch der Deutsch-Serbe Boban S. gehörte, bei dem Anis Amri zwischenzeitlich in Dortmund gewohnt hatte. Auch Ben Ammar war im Juli 2015 einmal wegen abgehörter Gespräche über Terrorpläne für Dortmund kurzeitig festgenommen worden. Nach der Verhaftung der seit 2015 beobachteten Terrorzelle schienen die Ziele der deutschen Sicherheitsbehörden wohl erreicht zu sein und man hoffte vielleicht, dass Ben Ammar nun Deutschland verlassen würde. Was Amri betraf wollte man wohlmöglich abwarten, ob er nach dem Zusammenbruch des deutschen Abu-Walaa-IS-Netzwerks neue Kontakte zu IS-Schläfern in Deutschland über seine Auftraggeber aus Libyen knüpfen würde, wobei sich auch weitere Metadaten für das CIA-Programm abschöpfen ließen.

Eine weitere Anfrage von Herrn Lotz wurde aus Gründen des Staatswohls nicht beantwortet, wie der damals noch nicht pensionierte Staatssekretär Fritsche, bekannt durch die Verteidigung und Unterstützung der Nicht-Aufklärung des NSU-Phantoms,  in seiner Antwort vom 7. Februar mitteilte.

Das Staatswohl wäre beispielsweise gefährdet gewesen, wenn Fritsche in diesem Zusammenhang zugegeben hätte, dass die Daten in der Kooperation mit der CIA für die spätere Eliminierung der Kämpfer im libyschen IS-Camps gesammelt worden seien.

Es sieht sehr danach aus, als ob Anis Amri tatsächlich wegen seiner Nutzung als „Lockvogel“ der CIA und deutscher Sicherheitsbehörden vor einer Strafverfolgung in Deutschland und einer Abschiebung geschützt worden ist, trotz aller damit verbundenen Risiken für die deutsche Bevölkerung.

Dem Spiegel-Print-Artikel vom 21. Januar 2017 ist außerdem zu entnehmen, dass das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen in einem vertraulichen „Personagramm“ zu Amri notiert hatte, dass dieser ab dem 13.Oktober 2016 vom Bundesamt für Verfassungsschutz nachrichtendienstlich beobachtet worden sei. Diese Enthüllung hatte mehrere Anhörungen von Mitarbeitern des BfV im Untersuchungsausschuss zur Folge, unter anderem des ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Maaßen. Dieser hatte eine Verwicklung des BfV bestritten, wohl weisungsgemäß im Auftrag des Innenministeriums, was den Fakt erklärt, dass er für diese Falschaussage zwar Kritik geerntet hat, aber nicht geschasst worden ist.

Erst im September 2018  wurde die Überwachung Amris durch das BfV durch eine Mitarbeiterin eher unfreiwillig zugegeben.

 

https://www.morgenpost.de/berlin/article215322241/Verfassungsschutz-Mitarbeiterin-Anis-Amri-wurde-ueberwacht.html

13.09.2018, 16:43 

Ulrich Kraetzer

Eine Mitarbeiterin des BfV erklärte am Donnerstag im Untersuchungsausschuss des Bundestages erstmals öffentlich, dass ihre Behörde Amri auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht habe. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen hatte den Fall Amri dagegen stets als reinen Polizeifall dargestellt.

Die Zeugin arbeitet als Auswerterin im BfV und führte nach eigener Aussage die Personenakte zu Amri… Details, in welcher Weise die nachrichtendienstliche Überwachung stattfand, nannte die Zeugin des BfV im öffentlichen Teil der Sitzung nicht…

Auch das Bundesinnenministerium sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, im Zuge der Aufklärung des Falls Amri falsch informiert zu haben. Auf Anfrage der Grünen hatte das Ministerium im Januar 2017 schriftlich versichert: „Amri wurde nicht vom BfV mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht.“ …

 

https://www.heise.de/tp/features/Amri-Bundesregierung-blockiert-Aufklaerung-4166150.html?seite=all

  1. September 2018 Thomas Moser

… Dann wollte die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic wissen: „Wurde Anis Amri vom BfV mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht?“

Antwort BfV-Zeugin „Lia Freimuth“: „Das ist nicht von meiner Aussagegenehmigung gedeckt.“

Mihalic/UA: „Das ist eine grundsätzliche Frage: Wurden nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt?“

Widerspruch von der Regierungsbank, die Frage dürfe nicht beantwortet werden.

Mihalic/UA: „Das ist eine geschlossene Frage: Wurde Amri mit nachrichtendienstlichen Mitteln vom BfV überwacht – ja oder nein?“

BfV-Zeugin: „Das ist nicht von der Aussagegenehmigung gedeckt.“

Armin Schuster, Ausschussvorsitzender, CDU: „Wollen Sie es gar nicht beantworten oder nur in diesem Format, öffentlich, nicht?“

BfV-Zeugin: „In diesem Format nicht.“

Einwurf Regierungsbank: „Die Zeugin kann mit Ja oder Nein antworten.“

BfV-Zeugin: „Dann: ja!“…

Ben Ammar stand nach dem Anschlag unter Mordverdacht, er wurde inhaftiert und im Ermittlungsverfahren „City“ des Bundeskriminalamtes als Beschuldigter geführt. Jedoch: Aus diesem Verfahren heraus hat ihn die Bundesanwaltschaft am 1. Februar 2017 nach Tunesien abschieben lassen. Sein Aufenthaltsort soll nicht bekannt sein.

Von der BfV-Zeugin erfährt man, dass Ben Ammar, Selim und eine dritte Person ebenfalls auf der Tagesordnung im GTAZ standen. Das war bisher nicht bekannt. Von sich aus haben die vielen Behördenvertreter, die in den Untersuchungsausschüssen zum GTAZ befragt wurden, das nicht mitgeteilt…

 

Ein später vernommener Zeuge des BfV versuchte – vermutlich weisungsgemäß – die verpatzte Aussage der Zeugin „Freimuth“ zu relativieren, indem er den Eintrag des LKA NRW schlichtweg als falsch qualifizierte.

 

https://www.heise.de/tp/features/Amri-und-der-Verfassungsschutz-Widersprueche-ueber-Widersprueche-4178711.html

  1. Oktober 2018 Thomas Moser

… UA: „Die Zeugin Freimuth hat in der letzten Sitzung erklärt, ja, Amri sei mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht worden.“

BfV-Zeuge: „Nein, er wurde nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht. Insbesondere nicht: ‚überwacht‘. Nach allem, was ich mir denken kann, hat Frau Freimuth ‚wahrscheinlich‘ gesagt.“…

Intervention des Bundesinnenministeriums: „Stopp! Das ist eingestuft.“

Der Ausschuss legte ihm dann eine Akte vor, in der explizit von „nachrichtendienstlicher Beobachtung“ Amris durch das BfV die Rede ist… Im UA des Bundestages blieb der BfV-Mann Gilbert Siebertz auch trotz Aktenvorhalt dabei: „Ich kann nicht sagen, warum das LKA diesen Eintrag gemacht hat. Wir hatten keine nachrichtendienstliche Maßnahme zu Anis Amri. Wir haben auch keine nachrichtendienstlichen Maßnahmen unterstützt. Dieser Eintrag ist falsch.“…

 

Sollte die Annahme des Focus stimmen, dass der IS-Gefährte von Anis Amri, Bilel Ben Ammar, ein Informant oder wohlmöglich sogar ein in den IS eingeschleuster Mitarbeiter des marokkanischen Geheimdienstes sein müsse, dann würde dies zu weiteren höchst brisanten Fragen führen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Terroranschlag vom Breitscheidplatz im Einverständnis  mit der marokkanischen Regierung erfolgt sein kann. Die Warnungen des marokkanischen Geheimdienstes ohne Benennung der Quelle wären nachvollziehbar, wenn die Marokkaner ihren wertvollen Agenten nicht „verbrennen“ wollten. Vielleicht hatte das BfV einen Informanten in Berlin, dem man zutraute, im Falle eines durch Amri geplanten Anschlags rechtzeitig zu warnen, so dass man auf eine Verhaftung weiterhin verzichtete. Dann würde es auch Sinn machen, dass der marokkanische Geheimdienst sich bereit erklärte, die Warnungen an Deutschland öffentlich zu bestätigen. Auch wäre damit begreifbar, warum die weisungsgebundene Bundesanwaltschaft und das BKA einer Eilabschiebung ohne Strafverfolgung zustimmten.

Im französischsprachigen Internet findet man ganz interessante Informationen zur Arbeitsweise des marokkanischen Geheimdienstes. Ich habe ein paar wichtige Aussagen ins Deutsche übersetzt:

Marokko profiliert sich durch sein solides Programm für den Kampf gegen den Terrorismus, das seine Stärke aus der Kooperation mit den amerikanischen, chinesischen und russischen Geheimdiensten zieht…“

Quelle: http://french.peopledaily.com.cn/n/2015/0713/c96852-8919430.html, 13.07.2015

 

Neuerdings richtet sich der Sachverhalt, öffentlich zu verkünden, dass Marokko es ermöglicht hat, einen Teil der Terroristen auf Pariser Boden zu lokalisieren, gegen die geheime Kultur der Nachrichtendienste. Dagegen haben Frankreich und Belgien eine schwache Kenntnis der radikalen Milieus und der arabischen Welt, entgegengesetzt zu dem, was man annehmen möchte…  Einige denken, dass die Bekanntgabe der Medien zur Effektivität des marokkanischen Geheimdienstes einen großen Fehler darstellt… Alle Marokkaner, egal ob sie Agenten, Offiziere oder normale Bürger sind, werden durch die Mitglieder von Gruppen mit Terrorabsichten gemieden werden wie die Pest…“  

Quelle:  https://www.medias24.com/NATION/159783-Pourquoi-les-services-de-renseignements-marocains-sont-si-efficaces.htmlLe 23 novembre 2015

 

Um weitere in Terrorgruppen eingeschleuste Agenten nicht auffliegen zu lassen und die effektive Arbeit und Unterstützung durch den marokkanischen Nachrichtendienst im Krieg gegen den Terror nicht zu gefährden, muss sowohl von marokkanischer als auch von deutscher und amerikanischer Seite unter allen Umständen verhindert werden, dass Bilel Ben Ammar offiziell als Geheimdienstmitarbeiter enttarnt wird.

In einer Pressekonferenz

https://www.youtube.com/watch?v=AAFpg7icQbg
WELT
Am 28.02.2019 veröffentlicht

äußerte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer am 28. Februar 2019 zu den Anschuldigungen aus dem Focus-Artikel. Seehofer las eine vorbereitete Erklärung ab und besaß, wie es sich bei den Antworten auf die Fragen der Journalisten heraus stellte, scheinbar keinerlei weitergehende Kenntnisse zu den Vorgängen. Er entschuldigte sich damit, damals nicht im Amt gewesen zu sein. Seinen Amtsvorgänger habe er nicht befragt, denn dafür sei der Untersuchungsausschuss zuständig. Mit dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum GTAZ oder einem Bundesanwalt habe er auch nicht gesprochen. Mit der Justiz könne er auch wegen der Gewaltenteilung nicht reden. Offensichtlich möchte Seehofer die Wahrheit nicht wirklich wissen, damit er seine Hände besser in Unschuld waschen kann, wenn weiter gelogen wird. Im Text seiner verlesenen Erklärung stand unter anderem:

„Ben Ammar war seit dem 14. Januar 2017 vollziehbar ausreisepflichtig und galt als Person mit hoher krimineller Energie potenziert durch seine radikal-islamische Gesinnung. Er wurde am 24. Dezember 2016 als Gefährder eingestuft… Nach zwei Vernehmungen des Ben Ammar als Beschuldigter lagen keine Ansatzpunkte dafür vor, dass er zur Aufklärung des Anschlags hätte beitragen können oder wollen. Die Abschiebung erfolgte im Einvernehmen mit den zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Weder dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst noch dem Bundeskriminalamt liegen Erkenntnisse vor, dass Ben Ammar für oder mit einem marokkanischen Nachrichtendienst in irgendeiner Form arbeitete.“   

 

Es ist schon bemerkenswert, dass die Bundesregierung und die Justiz im Einvernehmen, ohne miteinander zu sprechen wegen der Gewaltenteilung, wenn man Herrn Seehofer glauben möchte, einen ganz wichtigen Zeugen gut einen Monat nach dem Anschlag haben abschieben lassen. Die Entscheidung hierzu soll bereits Anfang Januar festgestanden haben, kurz nachdem man in Windeseile im GTAZ am Heiligabend den erforderlichen Gefährder-Status des Ben Ammar festgelegt hatte. Gewöhnlich reicht es der Justiz für die Freilassung eines Terrorverdächtigen während der laufenden Ermittlungen nicht aus, wenn dieser schlichtweg nicht kooperieren will und diese „Starrköpfigkeit“ glatte zwei Vernehmungen lang durchzuhalten in der Lage ist. Da liegt es eher nahe anzunehmen, dass Ben Ammar spätestens während der zweiten Vernehmung seine Tätigkeit für den marokkanischen Nachrichtendienst offenbart und den Zusammenhang zu den Warnungen offen gelegt hat. Eine Mittäterschaft konnte damit ausgeschlossen werden und man beschloss die Turbo-Ausweisung, um eine Staatsaffäre zu verhindern.  Bei der Aussage von Herrn Seehofer bezüglich des Wissens von BfV, BND und BKA hat man wohl den Zusatz „eigene“ bei den Erkenntnissen unterschlagen. Es ist davon auszugehen, dass die CIA durchaus im Bilde war, wenn –  wie von Stefan Schubert angenommen –  Amri im Zentrum einer Abschöpf-Operation zwecks Eliminierung der Hintermänner in Libyen gestanden haben sollte. Für mich sehen die nicht verifizierbaren Behauptungen des Focus zu den Videos mit Ben Ammar als Mittäter eher wie ein Ablenkmanöver aus, das man den Journalisten gemeinsam mit den Hinweisen auf die Agententätigkeit untergejubelt hat, um diese wirklich brisante Enthüllung gleich wieder zu entkräften.

Es spricht vieles dafür, dass die Opfer vom Berliner Breitscheidplatz ganz bewusst hingenommene Kollateralschäden im Krieg gegen den Terror gewesen sein könnten. Irgendwie erinnert mich die herzlose Behandlung der Opfer und Opfer-Angehörigen durch die Bundesregierung ein wenig an die Rechtfertigung des für den Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima im August 1945 verantwortlichen US-amerikanischen Bomberpiloten Paul Tibbets, so wie er sie im Jahr 2005 bei einem Interview für eine BBC-Doku formulierte: „Ungeachtet der Zahl der Menschen, die wir getötet haben, haben wir doch noch viel mehr davor bewahrt, in diesem Krieg getötet zu werden, auf amerikanischer wie japanischer Seite.“

Die Rechtfertigung für die unterlassene Verhaftung und die aus dem Ruder gelaufene Überwachung  Amris durch die deutschen Sicherheitsbehörden, wer auch immer dafür zuletzt verantwortlich gewesen ist, könnte analog folgendermaßen formuliert werden:

Ungeachtet der 12 Toten und mehr als 70 Verletzen des Terroranschlags haben wir durch die gemeinsam mit der CIA durchgeführte erfolgreiche Operation gegen die Terrorcamps in Libyen letztendlich doch viel mehr Menschen sowohl in Deutschland, Europa als auch in Afrika davor bewahrt, durch Terroranschläge dieser nun eliminierten  IS-Anschlagsplaner getötet zu werden.

Der Krieg gegen den Terror fordert nach Ansicht der Verantwortlichen halt auch Opfer an der Heimatfront. Der Schutz der eigenen Bevölkerung hat auch in Deutschland längst keine Priorität mehr vor der Durchsetzung politischer Ziele mit militärischen Mitteln.

Untersuchungsausschüsse gab es auch zum NSU-Phantom mehr als genüge, aufgeklärt wurde letztendlich nichts, obwohl der gute Wille bei einigen Politikern zumindest zu Beginn der Arbeit noch zu erkennen gewesen ist. Sollte so ein Ausschuss der Wahrheit zu nahe kommen, wird Druck auf die führenden Mitglieder ausgeübt, die nicht selten gerade wegen ihrer Erpressbarkeit als Vorsitzende ausgesucht werden. Man erinnere sich an den nach eigenem Bekenntnis nicht pädophilen Sebastian Edathy des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag.

In der WAZ vom 1. März 2019 liest man die vollmundige Ankündigung der Linke-Obfrau Martina Renner: „Wenn sich herausstellen sollte, dass Ben Ammar doch in den Anschlag verwickelt war, würde dies keine der handelnden Personen politisch überleben.“ Frau Renner hat wohl übersehen, dass sowohl der damals verantwortliche Innenminister Thomas de Maizière als auch der damalige Bundejustizminister Heiko Maas längst nicht mehr im Amt sind. Für Maas war es nicht das vorzeitige Karriere-aus – er ist schließlich ein SPD-Mann. Er wechselte im neuen Kabinett lediglich zum Außenministerium – besser ist besser. De Maizière hingegen erhielt im März 2018 keinen Platz mehr im neuen Kabinett. Anfang Oktober 2015 war er an der Seite des neuen BfV-Vize Sinan Selen an einem Gespräch der Vertreter der Sicherheitsbehörden im Bundeskriminalamt beteiligt gewesen, bei dem unter anderem zu Hinweisen von Nachrichtendiensten auf IS-Terroristen unter den Flüchtlingen diskutiert worden war. Es ist nicht auszuschließen, dass zu dieser Zeit die Operation zum Daten sammeln für das Drohnen-Tötungsprogramm der CIA startete. Sinan Selen wäre dann an der richtigen Stelle platziert worden, um möglicherweise die weisungsgemäße Vertuschung der Amri-Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor Ort sicher zu stellen und dafür zu sorgen, dass es  keine „unschönen“ Leaks  gibt wie bei dem AfD-Prüffall-Dokument des BfV, das ganz magisch den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatte.

Ganz davon abgesehen ist nicht die vorgeschobene mögliche Beteiligung Ben Ammars an dem Terroranschlag der eigentliche Skandal, nicht einmal die schnelle Abschiebung, sondern die Frage, ob die Warnungen aus Marokko, die mit Ben Ammar in Zusammenhang stehen  könnten, zwecks Abschöpfung weiterer Informationen zu dem Terrornetzwerk um Amri trotz der großen Gefahr für die Bevölkerung bewusst ignoriert worden sind.

Hier zeigt es sich einmal wieder, was der tiefere Sinn und Zweck von Untersuchungsausschüssen ist. Die U-Ausschuss-Mitglieder erhalten die Gelegenheit, stellvertretend für alle politisch Verzweifelten Demokratie zu „üben“ – im Rahmen einer Selbstbeschäftigungstherapie, die es ihnen ermöglicht, aufgrund der jeweiligen ideologischen Scheuklappen den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen zu müssen. Wird es einmal spannend, so fehlen stets, wie bei der BfV-Dame, die die Akte Amri bearbeitet hatte, die passenden Aussagegenehmigungen. Die entscheidenden Details dürfen nicht bekannt gemacht werden. Es kann nicht aufgeklärt werden, wenn bei den verantwortlichen Beamten eine Pflicht zur Unwahrheit als Staatsraison erzwungen wird – und genau das ist die Intention des Verfahrens: eine keinerlei  Anstrengungen unterlassende Nicht-Aufklärung.

 

 

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